Freerider Clemens Kaudela über Mut und Wahnsinn
 
                    
                Ein falscher Sprung – und 50 Meter tiefer endet alles im Staub von Utah. Bei der Red Bull Rampage wagen sich nur die mutigsten Mountainbiker über die Felskanten. Einer von ihnen ist Clemens Kaudela aus Niederösterreich – der einzige Österreicher, der sich jemals in dieses Höllenrennen gestürzt hat. Und er weiß, was jemanden antreibt, sich freiwillig über senkrechte Felswände zu stürzen? Warum bleibt man diesem Wahnsinn treu – trotz Abstürzen, Verletzungen und Todesangst?
Rote Felsen, brennende Sonne, und ein Hang, so steil, dass man selbst fürs Runtergehen ein Sicherungsseil benötigt: Die Red Bull Rampage in Utah (USA) ist kein normales Mountainbike-Rennen – sie ist das verrückteste Freeride-Event der Welt. Hier bauen die besten Biker der Erde ihre eigene Strecke in den bröseligen Wüstenfelsen, springen über 20-Meter-Drops und landen oft nur Zentimeter vom Abgrund entfernt. Kein Wunder, dass das Spektakel auch heuer wieder weltweit für Schlagzeilen sorgte – und zwar nicht nur wegen spektakulärer Runs, sondern auch wegen brutaler Stürze.
Die Weltklasse-Mountainbiker Adolf Silva und Emil Johansson krachten heuer so heftig, dass beide per Helikopter ins Krankenhaus geflogen werden mussten. Johansson mit einer ausgerenkten Hüfte, Silva mit einer Rückenverletzung. Die Bilder gingen um die Welt – und lösten erneut die Diskussion aus, wie viel Risiko dieser Sport eigentlich verträgt.
Österreichs einziger Rampage-Fahrer
Einer, der weiß, wie sich das alles anfühlt, ist Clemens Kaudela - aufgewachsen im niederösterreichischen Unterstinkenbrunn, mitten im Weinviertel. Der 35-Jährige ist der einzige Österreicher, der jemals bei der Rampage am Start stand – und das gleich zweimal.
Kaudela ist dabei kein Draufgänger, sondern ein Tüftler. Einer, der weiß, wie man Grenzen auslotet, ohne sie leichtsinnig zu überschreiten. Er ist Freerider, Streckenbauer und kreativer Kopf zugleich – ein Mann, der selbst weiß, wie viel Arbeit und Präzision hinter einem Sprung stecken.
„Der Moment am Start ist purer Tunnelblick“, sagt er. „Du hast acht Minuten Zeit für deinen Lauf. Egal, ob Wind geht oder nicht, ob du vorbereitet bist oder nicht – du musst fahren. Da gibt’s kein Zurück. Vorher bist nervös, aber oben funktioniert nur noch der Körper.“
„Ich will am Abend ein Bier trinken – ohne Gips“
Viele nennen die Rampage den Mount Everest des Freeride-Sports. Kaudela nickt. „Das passt schon. Es ist das Härteste, was du als Biker machen kannst. Acht Tage in der Wüste, alles mit der Hand gebaut – und dann der Moment, wo du blind über eine Klippe springst. Das ist Wahnsinn und Faszination zugleich.“
Dass dieser Sport gefährlich ist, bestreitet er nicht. Aber Kaudela hat seinen eigenen Zugang dazu gefunden: „Ich höre auf mein Bauchgefühl. Wenn sich etwas nicht richtig anfühlt, fahre ich es nicht. Früher wollte ich alles probieren – heute sage ich: Ich will am Abend ein Bier trinken, ohne Gips.“
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Austragungsort: Virgin, Utah (USA) 
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Teilnehmer: 17 der besten Freerider der Welt, die dazu eine Einladung erhalten haben. 
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Besonderheit: Jeder Biker baut seine eigene Linie – per Hand 
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Bewertung: Schwierigkeit, Style, Kreativität, Flow 
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Temperaturen: Bis zu 40 Grad 
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Heuer: Schwere Stürze von Emil Johansson und Adolf Silva sorgten weltweit für Schlagzeilen 
Technik, Training und totale Kontrolle
Der 35-Jährige überlässt nichts dem Zufall. Seine Bikes vom Hersteller Propain sind Hightech-Maschinen – maßgeschneidert, abgestimmt, in jedem Detail perfektioniert. „Rahmengeometrie, Federung, Reifendruck – das muss alles genau passen. Wenn du in dieser Wand nicht hundert Prozent Vertrauen in dein Material hast, verlierst du. Und dann wird’s gefährlich.“
Auch mental braucht es eiserne Disziplin. „Du musst mit vielen kleinen Erfolgen Selbstvertrauen aufbauen. Wenn du schon verletzt bist, hast du dort nichts verloren. Und du musst wissen, wo deine Grenze ist – sonst zahlst du schnell einen hohen Preis.“
Zwischen Adrenalin und Verantwortung
Nach den schweren Unfällen heuer fordert Kaudela, dass sich das Event weiterentwickeln muss. „Es kann nicht sein, dass jedes Jahr sechs Fahrer im Krankenhaus landen. Man kann Rampage sicherer machen, ohne den Spirit zu zerstören. Sauber gebaute Sprünge, klarere Bewertung – das hilft allen. Es geht nicht darum, den Mut zu verbieten, sondern ihn sinnvoll einzusetzen.“
Sein größtes Anliegen: Mut mit Maß. „Mut heißt, seine Grenzen zu kennen. Wahnsinn beginnt, wenn du sie ignorierst.“
Vom Sägewerk ins Big Mountain Business
Kaudelas Werdegang klingt fast filmreif. Aufgewachsen in einer alten Sägewerksfamilie, baute er schon als Teenager seine ersten Rampen im Hof. Später folgten Schaumstoffgruben und selbst gebaute Trainingsanlagen. Heute betreibt er in seiner Heimatgemeinde das „Backyard Battle“, eines der bekanntesten Freeride-Events Europas, bei dem Fahrer aus den USA, Neuseeland und Spanien nach Niederösterreich pilgern.
„Wir haben hier im Weinviertel einfach gemacht, was uns Spaß macht“, sagt Kaudela. „Ich hatte das Glück, dass mein Vater und meine Familie mich immer unterstützt haben. Ich bin im Holz groß geworden – also hab ich mir meine Welt eben selbst zusammengezimmert.“
Treffen in St. Corona am Wechsel
Getroffen hat die „Radkrone“ den Freeride-Profi dort, wo Österreich im Mountainbike-Bereich gerade selbst Geschichte schreibt – in der großartigen  Wexl Trail Area in St. Corona am Wechsel. Hier hat Seilbahnbauer Doppelmayr heuer den weltweit ersten Bike-Lift gebaut – eine Bahn nur für Mountainbiker, die sie samt Rad wieder nach oben bringt.
Das zeigt, wie stark Mountainbiken in Österreich geworden ist. Früher musste man alles improvisieren, heute entstehen Anlagen auf Weltklasse-Niveau. Und die Wexl Trails sind genau der richtige Ort, um jungen Fahrern zu zeigen, wie man’s richtig macht – mit Spaß, aber auch mit Respekt.
Ob er 2026 wieder bei der Rampage starten wird? Kaudela lächelt: „Der Kopf sagt vielleicht nein, der Bauch sagt ja. Und meistens hat der Bauch recht. Aber wenn ich wieder fahre, dann sicher nicht mit einem 15-Meter-Drop. Ich will zeigen, dass man diesen Sport auch anders leben kann – mit Können, Gefühl und Freude, statt mit Angst und Druck.“
Egal, ob in Utah oder am Wechsel - Clemens Kaudela steht für das, was Freeride im Kern ausmacht: Mut, Leidenschaft und Bodenhaftung. Ein echter Österreicher, der zeigt, dass man selbst auf den wildesten Bergen noch Haltung bewahren kann.
 
                             
                            